Das falsche Bild von Feminismus: Türk-Nachbaur am Hoptbühl über feministische Außenpolitik
17.07.2025
Unter dem Titel „Frauen in der Politik“ hatte das Gymnasium am Hoptbühl die Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Derya Türk-Nachbaur, eingeladen. Im Zentrum stand ein offenes Gespräch über ihre persönlichen Erfahrungen mit Gleichstellung, über strukturelle Hürden und über die Bedeutung feministischer Außenpolitik in einer zunehmend fragilen Welt.
Als Außen, Menschenrechts und Frauenrechtspolitikerin war Türk-Nachbaur in der vergangenen Legislaturperiode häufig in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs. Ihre Eindrücke teilte sie eindringlich mit den Schüler*innen: „Man wird demütig, wenn man erkennt, dass ein Leben in Sicherheit, mit Rechtsstaatlichkeit und geachteten Menschenrechten eben nicht überall Realität ist.“
Solche Reisen, sagt sie, verändern den Blick. „Manchmal denke ich, jeder und jede, die über Abschiebungen sprechen, sollte einmal selbst gesehen haben, wohin da eigentlich abgeschoben werden soll.“
Immer wieder rückte im Gespräch der Begriff „feministische Außenpolitik“ in den Fokus. Türk-Nachbaur machte deutlich, dass es dabei nicht um Bevorzugung, sondern um Sichtbarkeit geht. „Feminismus wird oft missverstanden. Es geht nicht darum, Frauen nach vorne zu ziehen, es geht darum, alle Perspektiven mitzudenken. Und genau das bedeutet Gerechtigkeit.“
Sie beobachtet, dass schon der Begriff „feministisch“ bei manchen auf Ablehnung stößt. „Deshalb funktioniert feministische Außenpolitik oft besser, wenn man sie nicht gleich als solche benennt, obwohl sie gerade dann wirkt.“ Viel zu häufig werde über das Wort diskutiert, statt über den Inhalt. Dabei sei der Nutzen klar belegt. In Kolumbien etwa wurde in den Friedensprozess gezielt die Perspektive von Frauen einbezogen, mit nachweisbar positiven Effekten auf die Stabilität.
Natürlich blieb es nicht bei der Theorie. Auch aktuelle außenpolitische Herausforderungen kamen zur Sprache. Ein Schüler wollte wissen, wie Deutschland sich heute international positioniert, mit Blick auf China, auf die Türkei unter Erdoğan oder auf den Nahostkonflikt. Türk-Nachbaur nahm sich Zeit für die komplexen Fragen und machte deutlich, dass ihre persönliche Haltung nicht immer deckungsgleich mit der Parteilinie sei. „Gerade in der Außenpolitik braucht es klare Werte und den Mut zur Differenzierung.“
Das Gespräch ließ parteiinterne Strukturen der Sozialdemokarten nicht unhinterfragt: Eine Schülerin fragte ob sich Türk-Nachbaur durch Leistung oder eine Frauenquote durchgesetzt habe.
„Beides. Und das schließt sich nicht aus.“ Antwortete Türk-Nachbaur und unterstrich, dass die Quote kein Selbstzweck sei, sondern ein notwendiges Instrument. „Das Problem ist nicht, dass es sie gibt, sondern dass wir sie noch brauchen.“ In Parteien ohne verbindliche Quotenregelung sei der Anteil von Frauen in Führungsfunktionen auffallend gering. „Und das liegt nicht an der Leistung, sondern an den Strukturen.“
Ein Blick auf den aktuellen Bundestag zeigt: Der Frauenanteil ist im Vergleich zur letzten Wahlperiode zurückgegangen, die Vielfalt nimmt ab. „Michael, der weiße Jurist, ist wieder auf dem Vormarsch“, sagte Türk-Nachbaur mit einem Augenzwinkern, aber ernstem Unterton.
Sie sprach auch offen über ihre eigenen Erfahrungen. „Ich bin Frau, ich bin laut, ich bin links und ich habe einen Migrationshintergrund. Das ist für viele politische Strukturen gleich viermal unbequem.“ Aber genau deshalb kämpfe sie dafür, dass andere es leichter haben. „Ich kenne das System nicht anders. Aber ich will, dass sich was ändert.“
Schließlich fordert sie auch die Schülerinnen und Schüler auf sich zu beteiligen, mitzureden und laut zu werden: „Junge Menschen sind in unseren Parlamenten absolut unterrepräsentiert, obwohl es auch um eure Köpf geht und Entscheidungen gefällt werden.“